Entscheidungs-Strukturen in NPOs
Wer entscheidet über das nächste große Kampagnen-Thema oder den Kauf einer neuen Software – eine*r, manche, alle? Wo liegt die Entscheidungskompetenz und wo die -macht?
Nach meiner bisherigen Berufserfahrung – in Non-Profits ebenso wie in Unternehmen – hat man als Mitarbeiter*in nur sehr selten absolute Entscheidungsfreiheit. Wo Mitspracherecht herrscht, muss meistens trotzdem noch die nächsthöhere Instanz die Entscheidung abnicken. Das bedeutet, dass man ein Problem/Thema erstmal durchdenken, dann aufbereiten und zuletzt auch noch einer Führungskraft erklären muss – ein langer, zeitraubender Prozess. Vor allem, wenn Führungskräfte einen sehr vollen Terminkalender haben (was ja meistens der Fall ist).
Entscheidungsmacht und damit Verantwortung abzugeben fällt vielen nicht leicht. Die Folge davon ist, dass Prozesse nur langsam voranschreiten, Innovation ausgebremst wird und Mitarbeitende Frust anhäufen. Starre Strukturen sorgen nämlich zuverlässig dafür, dass das Team Kreativität und Eigeninitiative mit der Zeit aufgibt. Dabei gäbe es andere Möglichkeiten, die sowohl Partizipation und Ownership in der Belegschaft fördern, als auch Agilität und Geschwindigkeit sicherstellen.
Entscheidungsmacht ist nicht zwingend auch Entscheidungskompetenz
Das grundsätzliche Problem bei Entscheidungen “von oben” ist, dass Führungspersonen nicht zwingend auch diejenigen mit der höchsten fachlichen Kompetenz für die Entscheidung sind. Diese ist am ehesten auf operativer Ebene zu finden. Trotzdem ist diese Struktur am verbreitetsten: Eine Studie mit knapp 700 amerikanischen Organisationen von Avner Ben-Ner und Ting Ren hat ergeben, dass in NPOs zwar generell mehr Mitsprachemöglichkeiten existieren als in Unternehmen, gleichzeitig aber überall die Geschäftsführung die substantiellen Entscheidungsprozesse dominiert.
Ein häufiges Argument für diese Struktur ist, dass den Mitarbeitenden der Gesamtüberblick fehlt. Das kann natürlich sein, ist aber gleichzeitig auch ein großer Fehler. Denn nur wer das große Ganze im Blick hat, kann seinen eigenen Beitrag dazu richtig einschätzen und den Sinn der eigenen Arbeit erkennen. Das führt in Folge nicht nur zu einer höheren Arbeitsmotivation, sondern ermächtigt die Mitarbeitenden auch, bessere Entscheidungen zu treffen. Es liegt in der Verantwortung der Führungskräfte, ihre Mitarbeitenden zu informieren und am großen Ganzen teilhaben zu lassen.
Mitarbeitende haben außerdem tiefen Einblick in die tägliche Arbeit, der für viele Entscheidungen essentiell ist. Ein weiterer Aspekt, der gegen die Bündelung von Entscheidungsmacht bei einer einzelnen Führungsperson spricht, ist, dass diese durch ihre anderen Verantwortlichkeiten meistens nur wenig Zeit hat. Entscheidungen können sich dadurch unnötig in die Länge ziehen – die Geschäftsführung ist dann der berühmte Flaschenhals, der alles aufhält.
Um gute Entscheidungen zu treffen, braucht es tiefe Kenntnisse der Materie. Sie sind vorrangig da zu finden, wo Menschen sich täglich damit auseinandersetzen – also direkt bei den Mitarbeitenden. Die strategische Ebene kann jedoch Rahmenbedingungen schaffen und beratend wirken. Das ist der Kern des Subsidiaritätsprinzips.
Was bedeutet Subsidiarität?
Subsidiarität kommt aus dem lateinischen (“subsidium” – Hilfe, Reserve) und beschreibt das Prinzip, größtmögliche Eigenverantwortung und Selbstbestimmung für eine Einheit sicherzustellen. Dabei kann es sich z. B. um eine Person, eine Gemeinde, eine Abteilung oder Ähnliches handeln. Föderale Staaten und die EU sind zum Beispiel so organisiert.
Institutionen sollen nach dem Subsidiaritätsprinzip nur dann eingreifen, wenn die Möglichkeiten der niedrigeren Hierarchieebene nicht ausreichen, um ein Problem zu lösen. Die Regulierungskompetenz ist also immer so niedrig wie möglich und so hoch wie nötig angesetzt.
NPOs, die nach diesem Prinzip Entscheidungen treffen und die Entscheidungsmacht nach unten abgeben, sind agiler und schneller – Eigenschaften, die in allen Bereichen wichtig sind.
Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips
Dieses Prinzip kann auf unterschiedlichen Wegen in die Praxis umgesetzt werden. Denn es bedeutet ja nur, dass die Entscheidungsmacht an die niedrigeren Hierarchieebenen abgegeben wird. Dort können nun unterschiedliche Strukturen herrschen: Entweder wird basisdemokratisch oder partizipativ entschieden.
Basisdemokratische Entscheidungsstrukturen haben einen großen Vorteil: Sie binden alle mit ein und verhindern, dass Minderheiten überhört werden. Doch sie haben auch einen großen Nachteil: In der Regel ist es ein langwieriger und mühsamer Prozess, Konsens herzustellen. Dafür tragen dann letztlich alle Beteiligten die Entscheidung mit. Will – oder muss – eine Organisation aber schnell reagieren und effizient arbeiten können, ist diese Methode eher nicht empfehlenswert.
Partizipative Entscheidungsfindung bildet den goldenen Mittelweg zwischen Basisdemokratie und Entscheidungen “von oben”. Meiner Erfahrung nach funktioniert es ganz hervorragend, wenn für eine Entscheidung ein kleines Team aller Stakeholder gebildet wird, die zusammen abwägen und sich festlegen. Je nachdem, über welches Thema entschieden werden soll, variieren auch die Team-Mitglieder. So ist die Partizipation aller Mitarbeitenden, die von der Entscheidung betroffen sind, sichergestellt. Außerdem fließen alle relevanten Blickwinkel und Erfahrungen in die Entscheidung mit ein. In einer kleinen Gruppe kann rascher ein Konsens oder zumindest ein Mehrheitsentscheid herbeigeführt werden.
Partizipative Entscheidungsfindung braucht klare Verantwortlichkeiten
Damit dieser Mittelweg funktionieren kann, müssen Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten im Team ganz klar definiert sein. Kaum etwas sorgt für mehr Unruhe und Chaos, als nicht klar abgegrenzte Rollenbeschreibungen. Sie sorgen dafür, dass allen Beteiligten klar ist, warum jemand an einer Entscheidung beteiligt ist und andere nicht. Diese Klarheit ist wichtig, um keine Konflikte entstehen zu lassen.
Strukturen hinterfragen
Wie Wright u.a. 2010 geschrieben haben, sind die formellen und informellen Entscheidungsverläufe den Beteiligten in NPOs oftmals selbst gar nicht ganz bewusst. Ich denke, es kann nie schaden, bestehende Strukturen zu hinterfragen und zu verbessern. Schneller und agiler zu werden und damit Innovation in der Organisation und Eigeninitiative bei den Mitarbeitenden zu erzeugen, kann eigentlich nur eine gute Entwicklung sein. Krampfhaft an Bestehendem festzuhalten und die Verantwortung bei einigen wenigen Führungskräfte zu bündeln ist jedenfalls meiner Meinung nach keine Lösung.
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