Holakratie und Soziokratie für NGOs: Eine Einführung
Wahrscheinlich kennst Du das aus Deiner Organisation: Du möchtest eine neue Maßnahme in deinem Bereich ausprobieren, hast die Idee an Deine*n Vorgesetzte*n gepitcht und nun wartest Du seid Wochen auf das “Go”. Denn Dein*e Vorgesetzte*r muss erst mit der Führungsebene darüber sprechen, hat selbst einen Haufen Arbeit auf dem Tisch, und irgendwann lässt Du die Idee frustiert fallen…
Holokratie und Soziokratie bieten Ansätze, die auf Selbstbestimmung und Eigenverantwortung setzen. Situationen wie die oben beschriebene werden vermieden, Entscheidungen werden auf kurzem Dienstweg in einem gewissen Rahmen selbst getroffen. Beide Ansätze setzen auf Dezentralisierung und partizipative Entscheidungsfindung, wodurch die gesamte Organisation agiler und effizienter wird.
Soziokratie
Was ist Soziokratie?
Soziokratie ist eine Organisationsform, die Selbstorganisation in allen Größenordnungen ermöglicht – von der Familie bis zum Staat. Der Begriff kommt aus dem lateinischen und setzt sich aus “socius” (“Begleiter”) und “kratein” (regieren, herrschen) zusammen. Wichtige Prinzipien sind die gemeinsame Entscheidungsfindung und die Organisation in Kreisen.
Soziokratische Entscheidungsfindung
Die Soziokratie baut auf das Konsensprinzip, bei dem alle Mitglieder des Kreises gehört werden. Hat jemand schwerwiegende Einwände, kann dies eine bestimmte Entscheidung verhindern. Die Einwände müssen aber stets mit Argumenten untermauert werden und alle Kreismitglieder entscheiden für sich, wie valide die Argumente sind. Einwände werden dann ausgeräumt, indem gemeinsam eine andere Lösung erarbeitet wird, die von allen mitgetragen werden kann. Wichtig ist dabei, dass Entscheidungen immer zum Erreichen der gemeinsamen Ziele beitragen.
Die vier Basisregeln der Soziokratie
Gerard Endenburg hat vier Basisregeln formuliert:
- Der Konsent regiert die Beschlussfassung
- Die Organisation ist in Kreisen aufgebaut
- Es gibt eine doppelte Verknüpfung der Kreise
- Es gibt offene Wahlen im Konsent für die wesentlichen Funktionen
Wichtige soziokratische Werte
- Gleichwertigkeit aller Beteiligten und partnerschaftlicher Umgang
- Selbstorganisation und Selbstverantwortung
- Transparenz
- Effizienz, Effektivität und Pragmatismus
- Fairness, gerechter Ausgleich im Geben und Nehmen
- Empowerment und Wachstum
Soziokratische Organisation
In einer soziokratischen Ordnung gibt es keine Abteilungen, sondern Kreise. Der größte Unterschied liegt darin, dass Kreise teilautonom sind. Sie verhandeln ihren Handlungsspielraum (“Domäne”) mit dem Mutterkreis aus und können innerhalb dieser Domäne eigenständig handeln, ohne Erlaubnisse vom Mutterkreis einholen zu müssen. Jeder Kreis wählt eine Leitung, die für den Informationsfluss vom Mutterkreis in den Tochterkreis zuständig ist und administrative Aufgaben erledigt. Der Informationsfluss in die andere Richtung wird durch gewählte Delegierte gewährleistet.
Vorteile der Soziokratie
Ein wesentlicher Vorteil der Soziokratie ist die Entlastung des Vorstandes bzw. der Geschäftsführung, da Verantwortung und Entscheidungsfindung auf alle Mitglieder aufgeteilt werden. Entscheidungen können dadurch unbürokratischer, partizipativ und rasch getroffen werden. Durch das Konsensprinzip werden alle Entscheidungen von allen Mitgliedern des Kreises mitgetragen.
Holakratie
Was ist Holakratie?
Der Begriff Holakratie kommt vom zusammengesetzten Wort “Holarchie” und „kratein“ (“regieren”). Es handelt sich um eine Organisationsform, die den Abbau klassischer Hierarchien zum Ziel hat und besitzt ein fixes Regelwerk, die “Verfassung”. Wichtige Prinzipien sind integrative Entscheidungsfindung und Selbstorganisation.
Holakratische Entscheidungsfindung
Die holakratische Verfassung beinhaltet auch konkrete Regeln zur Behandlung von Einwänden bei der Entscheidungsfindung. Alle Mitglieder haben das Recht, Einwände vorzubringen, die dann anhand von gezielten Fragen behandelt werden. Stellt sich der Einwand als berechtigt heraus, muss dieser durch die Anpassung der Entscheidung integriert werden.
Die wichtigsten Werte der Holakratie
- Selbstständigkeit und Ownership
- Entscheidungsfindung auf Augenhöhe
- Niedrige Hierarchien und klar abgesteckte Zuständigkeiten
- Autonomie in der Rollen- und Kreisarbeit
- Ausrichtung auf gemeinsame Ziele
- Mitbestimmung aller bei steuernden Entscheidungen
Die holakratische Organisationsstruktur
Auch in der Holakratie gibt es Kreise, die doppelt miteinander verbunden sind – von übergeordneten Kreisen in den Subkreis durch Kreis-Leads und umgekehrt durch Kreis-Repräsentant*innen. Die Kreis-Leads werden nicht wie die Repräsentant*innen gewählt, sondern durch den Kreis-Lead des übergeordneten Kreises bestimmt. Er ist für die strategische Ausrichtung und Administratives zuständig.
Außerdem wird zwischen zwei Arten von Meetings unterschieden: den operativen Meetings (“Tacticals”) und den Steuerungsmeetings (“Governance”). In diesen Meetings werden Spannungen behandelt, also Zustände, die nicht dem Wunschzustand entsprechen. Jedes Kreismitglied kann Vorschläge zur Entscheidungsfindung einreichen.
Vorteile der Holakratie
Ein klarer Vorteil dieser Organisationsform gegenüber klassisch hierarchischen Formen ist die Dezentralisierung von Entscheidungsprozessen und die klare Definition von Verantwortlichkeiten und Arbeitsbereichen. Sie bringt mehr Klarheit in Arbeitsprozesse, vereinfacht und beschleunigt Entscheidungsprozesse, steigert Kreativität und Arbeitsmoral und unterstützt die persönliche Entwicklung.
Umsetzung und Anpassung für NGOs
Die Umsetzung von Holakratie und Soziokratie erfordert ein gutes Change Management, da ein Umdenken bei allen Organisationsmitgliedern notwendig ist. Alle Mitglieder müssen ein hohes Maß an Eigenständigkeit und Verantwortungsbereitschaft mitbringen. Das Fehlen klassischer, hierarchischer Führung kann manche Menschen verunsichern. Die klassische Karriereleiter gibt es in beiden Organisationsformen nicht mehr. Es können lediglich neue Verantwortungsbereiche (Rollen) hinzugenommen werden.
Die Umstellung auf eine dieser beiden Organisationsformen kann herausfordernd sein. Vor allem die Gewöhnung an das starre Regelwerk der Holakratie ist gewöhnungsbedürftig, doch es bringt letztlich große Vorteile durch Klarheit und Sicherheit.
Mehr Partizipation, Motivation und Effizienz
Holakratie und Soziokratie bieten spannende Möglichkeiten, Deine NGO effizienter und partizipativer zu gestalten. Beide Ansätze fördern die Dezentralisierung und die Beteiligung aller Mitglieder, was zu einer dynamischeren und flexibleren Organisation führen kann. Jedenfalls sollte bei Einführung einer der beiden Organisationsformen ausreichend Zeit für die Umgewöhnung eingeplant werden, da sie sich von der klassischen Arbeitsweise in hierarchischen Organisationen stark unterscheiden und Individuen sehr fordern kann.
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