Kultur beeinflusst Spendenverhalten - Das sind die Länder-Unterschiede
In der Studie “Understanding Charitable Consumer Behavior on Digital Crowdfunding Platforms: Exploring the Influence of Cultural Values, Motivations, and Platform Attitudes” im Journal of Nonprofit & Public Sector Marketing wird das Spendenverhalten von Menschen auf digitalen Crowdfunding-Plattformen analysiert. Dabei trat zutage, dass kulturelle Normen und Werte sich stark auf die Motivation zu Geben auswirken. Erfahre, welche Rolle Faktoren wie Machtdistanz, Unsicherheitsvermeidung und Kollektivismus im Fundraising spielen.
Die Bedeutung der Kultur für das Spendenverhalten
Die in der Studie angewandten Kulturdimensionen wurden vom niederländischen Kulturwissenschaftler und Sozialpsychologen Geert Hofstede definiert. Sie geben eine Erklärung dafür, warum Menschen in verschiedenen Ländern ganz unterschiedlich auf wohltätige Aufrufe reagieren.
Dimension 1: Kollektivismus vs. Individualismus
Kollektivistisch geprägte Kulturen betonen die Bedeutung der Gemeinschaft und sozialer Verantwortung. Spenden und Wohltätigkeit werden als gesellschaftliche Verpflichtung angesehen. Soziale Bindungen und Werte wie Familie, Solidarität, Freundschaft und Hilfsbereitschaft spielen eine wichtige Rolle. Gemeinschaftsorientierte Fundraising-Kampagnen sind hier besonders erfolgreich.
Zu den kollektivistisch geprägten Ländern zählen z. B.:
- Portugal
- Spanien
- Griechenland
- Italien (besonders der Süden)
- Polen
- Rumänien
- Bulgarien
Individualistische Kulturen werten persönliche Autonomie besonders stark. Hier zählen vor allem Werte wie persönliche Freiheit, Unabhängigkeit, Prestige und Selbstverwirklichung. Menschen spenden hier vor allem dann, wenn sie einen individuellen Nutzen darin sehen. Das können z. B. Prestige-Zuwachs, steuerliche Vorteile oder auch die Verwirklichung eigener Werte sein.
Zu den individualistischen Ländern zählen u. a.:
- Deutschland
- Großbritannien
- Schweiz
- Niederlande
- Skandinavische Länder
Natürlich gibt es auch Mischformen – Länder, in denen beide Orientierungen stark ausgeprägt sind. Die französische Kultur legt beispielsweise im beruflichen Kontext großen Wert auf Individualismus, während Familie und soziale Netzwerke im Persönlichen sehr wichtig bleiben. Auch Österreich weist eine kulturelle Mischform auf: Es existiert ein moderater Individualismus, der durch die Betonung von sozialer Verantwortung und Gemeinschaft insbesondere im ländlichen Raum durchzogen ist.
2. Dimension: Machtdistanz
Machtdistanz beschreibt das Maß, in dem eine Gesellschaft ungleiche Machtverhältnisse akzeptiert. In Kulturen mit hoher Machtdistanz sind hierarchische Strukturen und soziale Ränge stark ausgeprägt. Die Menschen neigen dazu, Autoritätspersonen und gesellschaftliche Normen stärker zu respektieren. In Bezug auf das Spendenverhalten wirkt sich diese Ausprägung dadurch aus, dass Menschen eher wohltätig handeln, wenn damit ein sozialer und reputationssteigernder Nutzen verbunden ist. Die grundlegende Motivation ist hier die Steigerung des sozialen Ansehens. Hierarchie wird also zu einem Anreiz, da Spenden die eigene Stellung in der Gesellschaft positiv beeinflussen können.
Länder mit hoher Machtdistanz:
- Italien
- Spanien
- Griechenland
- Portugal
- Polen
- Russland
Niedrige Machtdistanz bedeutet, dass die Menschen flache Hierarchien bevorzugen. Werte wie Gleichheit und Mitbestimmung haben einen hohen Stellenwert. Es wird häufig erwartet, dass Autoritätspersonen zugänglich sind und alle unabhängig von ihrer Position respektiert werden. In Bezug auf Fundraising sind Transparenz, Gleichbehandlung und Kommunikation auf Augenhöhe wichtig. Evidenzbasierten Reports und Zahlen wird eher geglaubt als Aussagen von wichtigen Persönlichkeiten.
Länder mit niedriger Machtdistanz:
- Skandinavische Länder
- Deutschland
- Niederlande
- Österreich
- Schweiz
Im Vergleich zu Asien oder Lateinamerika, die oft eine hohe Machtdistanz aufweisen, sind europäische Länder allgemein eher am unteren Ende der Skala angesiedelt. Dennoch gibt es auch in Europa Unterschiede. Länder mit höherer Machtdistanz haben eine Kultur, die mehr Wert auf sozialen Status und Prestige legt. Angesehene Personen ins Fundraising einzubinden kann hier hilfreich sein, da das Vertrauen in Autoritäten höher ist.
Länder mit höherer Machtdistanz:
- Frankreich
- Italien
- Polen
- Spanien
- Portugal
- Russland
3. Dimension: Unsicherheitsvermeidung
Unsicherheitsvermeidung beschreibt das Maß, in dem Menschen sich durch Ungewissheit oder Unklarheit unwohl fühlen und versuchen, Risiken zu minimieren. In Gesellschaften mit hoher Unsicherheitsvermeidung existiert oft eine Präferenz für Struktur, klare Regeln und Vorhersehbarkeit. Menschen in solchen Kulturen bevorzugen etablierte und vertrauenwürdige Systeme. In Bezug auf das Spendenverhalten bedeutet das, dass die Menschen bei digitalen Spenden vorsichtiger sind und stärker auf die Sicherheit der jeweiligen Plattform achten. Sie müssen sich sicher sein, dass die Gelder tatsächlich an den gewünschten Zweck fließen. Wichtig sind also transparente Informationen, Berichte über frühere Erfolge und ein hohes Maß an Datenschutz.
Länder mit hoher Unsicherheitsvermeidung:
- Griechenland
- Portugal
- Italien
- Belgien
- Frankreich
- Spanien
- Österreich
- Deutschland
- Schweiz
Kulturen mit geringer Unsicherheitsvermeidung sind generell offener für neue und weniger etablierte Methoden. Die Menschen sind eher bereit, Risiken einzugehen und sind experimentierfreudiger. Auch innovative, unkonventionelle Spendenprojekte werden gerne unterstützt.
Länder mit geringer Unsicherheitsvermeidung:
- Schweden
- Dänemark
- Großbritannien
- Irland
- Norwegen
Regionale Unterschiede im Spendenverhalten
Südeuropa: Gemeinschaft und emotionale Bindungen
In Ländern wie Spanien, Portugal und Italien spielt die enge soziale Bindung an Familie und Gemeinschaft eine zentrale Rolle. Spenden werden häufig als Unterstützung für bekannte Personen oder lokale Organisationen getätigt, und emotionale Appelle sind besonders wirkungsvoll.
Nordeuropa: Systemvertrauen und soziale Sicherheit
Skandinavische Länder wie Schweden, Norwegen und Dänemark zeichnen sich durch ein starkes Sozialstaatssystem aus. Hier spenden Menschen häufig für internationale oder umweltbezogene Anliegen, da sie das Wohl der eigenen Bevölkerung als durch den Staat abgesichert ansehen.
Osteuropa: Tradition und religiöse Werte
In Ländern wie Polen, Rumänien und Bulgarien spielen religiöse Werte eine große Rolle beim Spendenverhalten. Häufig wird an kirchliche Organisationen gespendet, und Wohltätigkeit ist oft stark mit Glauben und Traditionen verbunden.
Deutschland und Österreich: Strukturiertes Geben
Deutsche und Österreicher bevorzugen planvolles, strategisches Spenden. Transparenz, steuerliche Vorteile und langfristige Engagements sind wichtiger als spontane Spenden. Kampagnen mit detaillierten Informationen und Erfolgsberichten haben hier besonders große Erfolgschancen.
Kultur als Schlüssel zum Spendenverständnis
Das Spendenverhalten ist keine universelle Konstante, sondern wird stark von kulturellen Faktoren beeinflusst. Wer Spendenkampagnen international erfolgreich gestalten will, muss die kulturellen Werte der Zielgruppen berücksichtigen. Nur durch ein tiefes Verständnis der kulturellen Unterschiede können Spendenaufrufe zielgerichtet und effektiv gestaltet werden.
Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass es sinnvoll ist, Marketingstrategien an die jeweilige Kultur anzupassen. Beispielsweise sollte in kollektivistischen Gesellschaften der Gemeinschaftsnutzen hervorgehoben werden, in machtdiszanzreichen Kulturen sollte der soziale Status betont werden. Um das Vertrauen bei Personen in unsicherheitsvermeidenden Kulturen zu stärken, sollten NGOs auf Transparenz setzen und Sicherheit betonen.
Ein kulturangepasster Spendenaufruf kann die Erfolgschancen erheblich steigern. Wer seine Zielgruppe kennt, kann gezielt Vertrauen aufbauen und die richtigen Botschaften setzen.