Mobbing in NGOs? Studie bestätigt - ja, das gibt es
Mobbing und sexuelle Belästigung können in NGOs schon aufgrund ihres gemeinnützigen Charakters nicht vorkommen. Das denken jedenfalls viele Menschen – doch sie irren. Die aktuelle Studie “Bullying and Harassment in Nonprofit and Voluntary Organization” des Nonprofit Management and Leadership Journal untersucht das Ausmaß und die strukturellen, kulturellen und organisatorischen Faktoren, die dieses Verhalten beeinflussen.
Über die Studie
Um herauszufinden, ob Mitarbeitende in gemeinnützigen Organisationen Mobbing und Belästigung ausgesetzt sind, und welche Faktoren dies beeinflussen, wurde eine systematische Literaturübersicht durchgeführt. Dafür wurden über 18 Studien zum Thema untersucht. Außerdem wurden verschiedene Organisationstypen (gemeinnützige Fundraising-Organisationen, internationale NGOs und freiwilligenbasierte Organisationen) auf das Thema durchleuchtet. Abschließend fand ein Vergleich mit anderen Sektoren statt, um eine mögliche Abweichung zu identifizieren.
Zentrale Erkenntnisse
Die Studie fand heraus, dass zwischen 20 % und 30 % der Beschäftigten in NGOs bereits persönliche Erfahrungen mit Mobbing gemacht haben. Über 50 % geben sogar an, Mobbing in ihrer Organisation beobachtet zu haben.
Sexuelle Belästigung kommt vor allem in internationalen NGOs und in Fundraising-Organisationen vor. Jede 4. Fundraiserin berichtet von Erfahrungen sexueller Belästigung. Dabei sind – wenig überraschen – 96 % der Täter*innen männlich. Doch es gibt auch noch einen weiteren Aspekt, der nicht übersehen werden darf: 65 % der Belästigungen erfolgen durch Spender*innen, was auf das ungleiche Machtverhältnis zwischen Fundraisenden und Geldgebenden hindeutet.
Systemische Ursachen für Mobbing in NGOs
Laut der Studie gibt es vier zentrale systemische Faktoren, die Mobbing und Belästigung in gemeinnützigen Organisationen begünstigen.
1. Komplexe Machtstrukturen
NGOs bestehen oft aus einer Mischung aus bezahlten und unbezahlten Arbeitskräften – z. B. Angestellte, Freiwillige und Vorstände. Dadurch ergeben sich unklare, aber starke Hierarchien, in denen sich Mobbing etablieren kann. Freiwillige können dabei ebenso Opfer wie Täter*innen sein.
2. Ausbeutung von “moralischer Arbeit”
Meistens ist es nicht das Gehalt, das den Ausschlag dafür gibt, in einer NGO zu arbeiten, sondern eine tiefe Verbundenheit mit der Mission. Mitarbeitende fühlen eine starke persönliche Bindung und Motivation. Das kann dazu führen, dass Missstände eher toleriert werden und Menschen sich für die gute Sache ausbeuten lassen. Manche Organisationen nutzen das aus, indem sie unbezahlte Überstunden, emotionale Erpressung und hohen Leistungsdruck normalisieren.
3. Hegemoniale Macht und Kultur des Schweigens
NGOs präsentieren sich oft als die Guten und moralisch einwandfrei. Dieser “Mythos der Tugendhaftigkeit” führt dazu, dass Beschwerden über Mobbing und Belästigung ignoriert, heruntergespielt und schlicht nicht ernst genommen werden. Wer Missstände anspricht, riskiert, als Störenfried abgestempelt zu werden.
4. Asymmetrische Machtverhältnisse zwischen Fundraiser*innen und Spender*innen
Fundraising ist eine Branche, in der mehr Frauen als Männer arbeiten. Vor allem junge Frauen mit unsicheren Arbeitsverhältnissen sind gefährdet, von Spender*innen belästigt zu werden. Denn Geldgebende haben große Macht über die Organisationen, was ausgenutzt wird, um sexuelle Übergriffe zu tätigen. Viele NGOs ignorieren diese Tatsache, weil sie befürchten, finanzielle Unterstützung zu verlieren.
65 % der Übergriffe erfolgen durch Spender.
Fehlende Schutzmaßnahmen
Die Studie zeigte auf, dass es kaum bis gar keine Schutzmaßnahmen in der Branche gibt. So geben nur 19 % der Befragten an, dass ihre NGO eine Mobbing- oder Belästigungspolitik hat. 33 % wussten gar nicht, dass es eine solche Politik gibt. Und wenn es bestimmte Richtlinien gibt, sind diese oft oberflächlich und werden nicht durchgesetzt.
Wenn Betroffene sich beschweren, fällt die Reaktion häufig sehr schlecht aus: 27 % der betroffenen Frauen erlebten gar keine Reaktion auf ihre Beschwerde, in rund 60 % der Fälle wurde der Sachverhalt nur unzureichend untersucht. Meistens wird nur auf Skandale reagiert, wenn die Medien darüber berichten.
Diskussion und Empfehlungen
Die Studie schlägt verschiedene Maßnahmen vor, um Mobbing und Belästigung in NPOs systematisch zu reduzieren:
✔ Stärkere Regulierung und Transparenz:
- Einführung verbindlicher Anti-Mobbing- und Anti-Belästigungsrichtlinien
- Verpflichtende externe Untersuchungen bei Vorwürfen
- Strenge Regeln für Spender*innenverhalten, um sexuelle Belästigung zu verhindern.
✔ Kulturwandel innerhalb der Organisationen:
- Schulungen für Führungskräfte, um eine zero-tolerance policy gegenüber Mobbing und Belästigung zu etablieren
- Mentoren- und Schutzprogramme für Fundraiser*innen und Frauen in unsicheren Positionen.
✔ Externe Aufsicht und Beschwerdemechanismen:
- Unabhängige Beschwerdeinstanzen für Betroffene
- Schutz von Whistleblowern, um Machtmissbrauch innerhalb der Organisation aufzudecken.
✔ Bessere Einbindung von Freiwilligen und Angestellten in Entscheidungsprozesse:
- Klare Hierarchien und Rollenverteilungen zwischen bezahlten und unbezahlten Mitarbeitern
- Partizipative Führungskultur, in der Probleme offen angesprochen werden können.
Fazit
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass Nonprofit-Organisationen nicht weniger anfällig für Mobbing und Belästigung sind als andere Branchen – im Gegenteil, sie haben strukturelle Eigenheiten, die das Problem sogar noch verstärken können.
Besonders alarmierend ist die weit verbreitete sexuelle Belästigung von Fundraiserinnen und Mitarbeiterinnen internationaler NGOs, die in Abhängigkeit von Spendern oder Vorgesetzten oft kaum Möglichkeiten haben, sich zu wehren.
Die „moralische Identität“ von NPOs trägt dazu bei, dass Missstände verschwiegen werden – Beschwerden über Machtmissbrauch und toxische Führung werden nicht ernst genommen, um den „guten Ruf“ der Organisation nicht zu gefährden.
Die Studie fordert ein Umdenken im Sektor: NGOs sollten sich nicht nur auf ihre Mission konzentrieren, sondern auch die Arbeitsbedingungen ihrer Mitarbeitenden aktiv verbessern, um Mobbing und Missbrauch zu verhindern.
Hilfestellen
Deutschland: Antidiskriminierungsstelle des Bundes Fragentelefon: 030 / 18 18 555 1865
Österreich: Verein sprungbrett / AK Wien Telefonberatung: 0670 / 600 70 80
Schweiz: Mobbing-Erstberatungsstelle für Frauen und Männer: 044 / 261 49 77