Storytelling mit KI-Videos: Mit der Kampagne “Home of Dreams” geht SOS-Kinderdörfer weltweit neue Wege
Mit der Kampagne „Home of Dreams“ wagen die SOS-Kinderdörfer weltweit einen mutigen Schritt: Zum ersten Mal nutzt die Organisation generative KI, um die Träume und Erinnerungen geflüchteter Kinder in berührende Videos zu verwandeln. Warum dieser innovative Ansatz nicht nur Aufmerksamkeit schafft, sondern auch ein spannender Case für andere NGOs ist, erzählten Peter Fechner (Vorstand) und Sarah Krka (Mediensprecherin) im Gespräch mit NGO Pulse.
Storytelling mit Substanz: Die Träume im Mittelpunkt
„Home of Dreams“ wurde am 11. März 2025 gestartet und endete 10 Tage später. Die Kampagne lief primär auf Instagram, YouTube und einer Landingpage. Begleitet wurde sie von prominenten Unterstützer*innen wie Johannes Strate, Nico Santos oder Betty Taube.
Im Zentrum der Kampagne stehen fünf KI-generierte Videos, die zwar die dramatischen Fluchtgeschichten der Kinder darstellen, aber dabei nicht das Leid, sondern die Resilienz und die Zukunftsträume der Kinder in den Vordergrund stellen. Die Videos sind ein Beispiel für Storytelling wie aus dem Lehrbuch. Die Kinder werden zu Held*innen ihrer eigenen Geschichte, die trotz traumatischer Erfahrungen träumen und wünschen, und sich ihre glückliche Zukunft ausmalen. Die Stimmen bleiben im Originalton erhalten, mit Untertiteln für maximale Zugänglichkeit.
Das Ziel der Kampagne ist dreifach: Aufmerksamkeit schaffen, Spenden generieren und Erfahrungen im Umgang mit KI sammeln. Besonders Letzteres sieht Peter Fechner als zentralen Lerneffekt: „Wir müssen als NGO verstehen, wie viel Aufwand und Output in solchen KI-Kampagnen steckt. Und wie wir zukünftig mit KI strategisch arbeiten können – vielleicht auch Inhouse. Mit dieser Technologie zu experimentieren war ein wichtiger Aspekt der Kampagne.„
Besonders berührend: Musikerin Nura erzählt in der Kampagne erstmals öffentlich ihre eigene Fluchtgeschichte aus Kuwait – und wird damit selbst zur Brücke zwischen Prominenz und Kindheitserfahrung. “Die Reichweite über Social Media war enorm – vor allem das Video von Nura hat viele Kommentare ausgelöst. Auch die Presse war sehr interessiert”, sagt Sarah Krka.
Die Kombination aus authentischen Fluchtgeschichten, aktueller Technologie und prominenter Unterstützung ist also der Kern dieser Kampagne.
Arbeit mit Prominenten
Im Sinne der Kampagne ist prominente Unterstützung ein Garant für größere Reichweite und Aufmerksamkeit. Dass mit Nura eine Prominente mit eigener Fluchtgeschichte eingebunden werden konnte, ist die Kirsche auf dem Sahnehäubchen. Doch die Einbindung von Promis hatte auch andere Gründe, wie Sarah erzählt: “Es geht auch stark um Relationship Management. Um die Beziehung zu unseren prominenten Unterstützer*innen zu pflegen und zu erhalten, sind gemeinsame Aktionen wichtig. Wir sind daher immer auf der Suche nach tollen, innovativen Ideen, um aktiv mit ihnen zu arbeiten.”
Generell sei es bei der Arbeit mit Prominenten wichtig, häufig den Kontakt zu suchen. Die Beziehungsarbeit unterscheide sich nicht von jener mit Großspender*innen oder anderen wichtigen Stakeholdern der Organisation.
KI statt Kamerateam
Naturgemäß ist Kinderschutz für die Organisation ein zentrales Thema. Kinder für die Öffentlichkeitsarbeit zu filmen und zu fotografieren ist daher nicht einfach – und für die Kinder selbst auch nicht ohne Risiken. Diese Problemstellung wird auch noch durch wirtschaftliche Aspekte verschärft: Drehreisen sind teuer und ressourcenintensiv. Künstliche Intelligenz bietet hierfür eine Lösung.
“Natürlich gab es intern auch skeptische Stimmen zum Einsatz von KI”, erzählt Peter. “Wir haben verschiedene Aspekte diskutiert, vom Umweltschutz bis zu Ethik. Aber rein theoretische Diskussionen bringen uns nicht weiter, daher haben wir uns dazu entschieden, dieses Experiment anzugehen. Nicht zuletzt ist es auch eine wichtige Lernerfahrung für uns, diese Technologie in Kampagnen zu verwenden.”
Der klare Vorteil der Verwendung von KI liegt in der enormen Kosteneffizienz. Doch auch der Kern der Kampagne – die authentischen Fluchtgeschichten und der Wunsch, den Kindern eine Stimme zu geben – konnte nur durch KI erfüllt werden. “Wir können heute mit den Jugendlichen sprechen und ihre Geschichten erfahren aber nicht ihre Kindheitsflucht visuell darstellen. KI ermöglicht genau das”, erklärt Sarah.
Einen weiteren Vorteil sehen die beiden beim Thema Awareness und Aufmerksamkeit. Die Verwendung von KI ist ein hochaktuelles Thema, das die Presse interessiert und dadurch der Kampagne mehr Reichweite verschafft.
Zu den Bedenken, die in der Vergangenheit oft über KI-generierte Bilder in der NGO-Kommunikation aufkamen, hat Peter ein überzeugendes Argument: “Um die Betroffenen zu schützen, arbeiten viele Organisationen bei Video-Drehs oder Fotoshootings mit Schauspielern. Das sind auch keine authentischen Bilder. Was ist also ehrlicher? Wichtig ist allerdings, dass transparent kommuniziert wird, dass es sich um KI-generierte Inhalte handelt.”
Technische Umsetzung herausfordernd
Nachdem die Kinder vor Ort ihre Geschichten erzählt hatten, musste das Material zu Prompts umgearbeitet werden. Der Original-Ton sollte in den Videos hinterlegt werden, um den Kindern eine Stimme zu verleihen. Die Agentur Serviceplan Culture produzierte die Videos mit dem KI-Tool Runway, aber dafür brauchte es mehrere Anläufe. “Die Prompts richtig zu formulieren, so dass am Ende die kindlich-fantastischen Vorstellungen glaubhaft umgesetzt werden, war eine Herausforderung”, erzählt Sarah. Auch der visuelle Stil musste erst gefunden werden – es war ja das erste Mal, dass SOS-Kinderdörfer weltweit solche Videos erstellte. “Wir brauchten zahlreiche Feedbackschleifen, bis wir mit dem Ergebnis zufrieden waren”, sagt Sarah.
Learnings für andere NGOs: Tipps aus der Praxis
- Einfach mal anfangen
„Viele NGOs stehen gerade an der gleichen Stelle, was den Einsatz von generativer KI betrifft. Wichtig ist, ins Tun zu kommen und nicht nur theoretisch zu diskutieren„, sagt Fechner. Dafür brauche es Mitarbeitende mit Lust aufs Experimentieren und klare Guidelines, die Datenschutz und Ethik regeln und den Mitarbeitenden Use Cases an die Hand geben. So können erste konkrete Erfahrungen mit der neuen Technologie gemacht und ihre Potentiale ausgekundschaftet werden.
- Transparenz ist Pflicht
„Wir kennzeichnen alle KI-generierten Inhalte klar und haben wichtige Argumente für den KI-Einsatz, zum Beispiel den Kinderschutz”, betont Peter. Die Kennzeichnung von KI-generierten Inhalten ist seit dem EU AI Act verpflichtend.
- Promis? Beziehungsarbeit!
Die Zusammenarbeit mit Prominenten funktioniert laut Sarah vor allem über aktives Relationship Management: „Dranbleiben, Geburtstagsgrüße, persönliche Kontakte. Und ja, manchmal auch einfach Kaltakquise mit dreimal Nachfassen.“ Geduld und Hartnäckigkeit sind also die Stichworte, wenn es darum geht, Promis als Botschafter der eigenen Mission zu gewinnen.
- Die passende IT-Infrastruktur
Auf der Landingpage der Kampagne gibt es ein modernes Spendenwidget, aber das Follow-up läuft noch nicht optimal. „Wir wissen, dass wir für nachhaltige Spender*innen-Bindung bessere Automatisierung und Datenstrukturen brauchen. Das ist der nächste Schritt: Eine IT-Infrastruktur, die uns auch Marketing Automatisierung ermöglicht”, verrät Peter.
Eine Kampagne, die inspiriert
„Home of Dreams“ ist mehr als eine KI-Show. Die Kampagne zeigt, wie moderne Technologien mit klarem Wertekompass eingesetzt werden können – für Geschichten, die berühren, und für eine Zukunft, in der Kinder nicht über ihre Fluchterfahrung definiert werden. Eine starke Inspiration für andere NGOs, selbst mutig neue Wege zu gehen.