Eisberg, der nur zum Teil aus dem Wasser ragt

„Cool statt kritisch?“ – Wie sich NGOs auf Social Media selbst entpolitisieren

Die Angst, Spender*innen zu verschrecken, politische Konflikte zu schüren oder durch einen einzigen Kommentar einen Shitstorm auszulösen, ist real. Da ist es durchaus nachvollziehbar, dass viele NGOs auf Social Media auf Sicherheit spielen und – wie Michael Dokyum Kim in seinem Artikel formuliert – politisch “glattgebügelt” auftreten. Genau hier ortet Kim aber auch ein grundlegendes Problem: NGOs sind häufig mehr darauf bedacht, “cool auszusehen” als kritisch einzuordnen, zu kontextualisieren oder gar politische Position zu beziehen.

 

Warum es auf Social Media meist unpolitisch bleibt

Kim hat mit zwölf Social-Media-Verantwortlichen internationaler NGOs gesprochen und konnte drei zentrale Ursachen für diese Form der depolitisierten Kommunikation ausmachen:

 

1. Engagement als oberstes Ziel

Likes, Shares, Klickzahlen – das sind die Währungen der Aufmerksamkeitsökonomie. Verständlich, dass viele NGOs ihre Posts daraufhin optimieren. Emotional aufgeladene Bilder, starke Zitate und knappe Aussagen funktionieren nachweislich besser. Aber: Diese Strategie geht oft zulasten von Tiefe und Würde. Stimmen aus dem Globalen Süden bleiben dabei häufig ungehört, weil sie weniger Reichweite versprechen.

2. Reputationsschutz und Neutralitätsgebot

NGOs vermeiden politische Inhalte – nicht, weil sie unpolitisch wären, sondern weil sie es sich nicht leisten können, politisch wahrgenommen zu werden. Zu groß ist die Sorge, staatliche Förderungen oder Unternehmenspartnerschaften zu verlieren. Besonders heikel wird es, wenn Organisationen in Ländern aktiv sind, in denen Äußerungen zu Menschenrechten oder politischer Repression reale Risiken für Mitarbeitende vor Ort bedeuten.

3. Interne Spannungen und digitale Führungsschwäche

Auch innerhalb der Organisationen fehlt es oft an klaren Zuständigkeiten, Ressourcen und digitaler Strategie. Kommunikations- und Fundraising-Abteilungen verfolgen mitunter gegensätzliche Ziele. Während erstere meist auf hohem Niveau aufklären wollen, brauchen letztere finanzielle Ergebnisse – schnell und sichtbar. In vielen NGOs fehlen ethische Leitlinien für die digitale Kommunikation völlig, was zu einer vorsichtigen, unauffälligen Social-Media-Strategie führt.

„Looking Cool“ statt „Speaking Truth“

Kims Begriff des „Looking Cool“ beschreibt präzise, was viele von uns im Alltag erleben: Wir versuchen, Inhalte zu produzieren, die stylish, modern und auf der Höhe der Plattformlogiken sind. Dabei gerät schnell aus dem Blick, was eigentlich gesagt werden müsste. So werden strukturelle Ungleichheiten in „ästhetisch gefälligen“ Posts unsichtbar gemacht. Die Erzählung über „das Gute“ ersetzt die Auseinandersetzung mit „dem Schwierigen“.

 

Was es braucht: Mehr Haltung, weniger Harmonie

Es liegt im Wesen von gemeinnützigen Organisationen, zu helfen, zu sensibilisieren und Missstände anzuprangern und zu verbessern. Der schmale Grat zwischen gesellschaftlicher Einflussnahme und finanzieller Stabilität wird aktuell leider immer schmäler, wie die kürzliche Debatte rund um “politische” NGOs in Deutschland gezeigt hat, oder auch die Herausforderungen, mit denen US-amerikanische Organisationen unter Trump zu kämpfen haben. Trotzdem: Wer, wenn nicht die Zivilgesellschaft, kann ein moralisches Gegengewicht herstellen und als Gewissen der Gesellschaft fungieren?

Die Repolitisierung von NGO-Kommunikation ist kein einfacher Weg. Sie erfordert Mut, Ressourcen und – vielleicht am wichtigsten – eine klare Haltung. Kim schlägt vor, dass NGOs:

  • digitale Führungsstrukturen stärken,
  • ethische Guidelines für Social Media etablieren,
  • und ergebnisoffen reflektieren, was erfolgreiche Kommunikation überhaupt bedeutet.

Ich möchte ergänzen: Wir sollten uns wieder trauen, unbequem zu sein. Social Media muss kein Ort des gefälligen Aktivismus bleiben. Es kann ein Raum für Widerspruch, Tiefe und politische Bildung sein – wenn wir ihn als solchen gestalten.

 

Wie schaffen wir es, auf Social Media sowohl sichtbar als auch glaubwürdig, sowohl erfolgreich als auch politisch zu sein?

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