Die NGO als “nationale Gefahr” - rechte Narrative und warum wir laut bleiben müssen
Kolumne
Merkt ihr auch, wie die Sprache sich ändert?
In meiner Arbeit als Redakteurin begegnen mir zahlreiche Pressemeldungen. Besonders laut und auffällig sind dabei rechte Parteien, und mir fallen immer häufiger Formulierungen und Begriffe auf, die darauf abzielen, die Zivilgesellschaft zu diffamieren. Es wird versucht, NGOs als Bedrohung darzustellen, und einige nehmen dieses Feindbild nur allzu gerne an.
Die Realität ist leider: Wer sich heute für Menschenrechte, Klimaschutz oder Geflüchtete einsetzt, steht zunehmend unter Beschuss – nicht nur von anonymen Trollen im Netz, sondern auch von Politiker*innen, die längst in Parlamenten sitzen. In Deutschland, in Frankreich, in Ungarn und eigentlich überall.
Was früher als Rückgrat der Demokratie galt, wird heute zur Zielscheibe: NGOs sollen „entpolitisiert“ werden, „neutral“ sein – oder am besten gleich ganz verschwinden. Ausgerechnet von jenen, die selbst keine Skrupel haben, ihre eigene Agenda mit maximaler Lautstärke zu vertreten. Widerspruch sehen sie nicht gerne.
Rechte Erzählungen: Wenn Hilfe zur Bedrohung wird
Ich erinnere mich noch gut, wie ich das erste Mal das Wort „NGO-Industrie“ gelesen habe. Das war um 2015 herum, während der großen Flüchtlingskrise. Und es war kein Missverständnis – es war Strategie. NGOs wurden nicht als Teil der Lösung gesehen, sondern als Teil des Problems. Als Interessenvertreter eines angeblich elitären, staatsnahen Milieus. Als „asylindustrieller Komplex“. Als „Subventionsempfänger“ mit versteckter Agenda. Und wo rechtes Gedankengut ist, ist meist auch die Verschwörungstheorie nicht weit. NGOs sollen etwa die “Umvolkung” unterstützen oder gar die “Neue Weltordnung” umsetzen. Egal wie schwachsinnig – Hauptsache, das Narrativ über NGOs ändert sich zum Schlechten.
Diese Rhetorik bleibt nicht folgenlos. In Ungarn etwa dürfen NGOs, die aus dem Ausland finanziert werden, nur noch unter dem Label „ausländischer Agent“ auftreten. In Italien drohte Ex-Innenminister Matteo Salvini Kapitän:innen ziviler Seenotrettung mit Haft. In Polen stehen feministische Organisationen auf schwarzen Listen. Und in Deutschland? Da wird schon mal die Gemeinnützigkeit entzogen, wenn man sich zu laut gegen Rassismus oder für Geflüchtete einsetzt. (Hallo, Attac. Hallo, VVN-BdA.) Genaueres dazu habe ich in diesem Artikel zusammengefasst: Schlägt man in Europa nun den russischen Weg ein?
Diesen Wandel kann man auch ganz persönlich spüren. 2005, als ich mit meinem Studium der internationalen Entwicklung begann – mit dem Ziel, in der Zivilgesellschaft zu arbeiten – klang das alles noch ganz anders. Da waren NGOs die Guten, die Soziale-Netze-Spanner, die Beschützer und Hüter, die Bessermacher. Heute ernte ich immer häufiger schräge Blicke und blöde Sprüche, wenn ich erkläre, was ich beruflich mache. Die rechten Märchen fallen auf fruchtbaren Boden – ein Symptom für jahrzehntelange Versäumnisse in der Bildungspolitik.
Warum rechte Parteien NGOs fürchten
Es liegt auf der Hand: NGOs gestalten Gesellschaft jenseits des Parteienspektrums. Sie sind die Vertreter demokratischer Werte, stehen für Solidarität, Nachhaltigkeit und sozialen Fortschritt. Dass rechte Kräfte das doof finden, ist nicht überraschend. Wir bauen Brücken, wo sie Mauern errichten wollen. Wir halten Komplexität aus, wo sie vermeintlich einfache Antworten predigen. Wir halten an den Menschenrechten fest, die sie versuchen, auszuhöhlen.
NGOs stehen für eine offene, solidarische Gesellschaft. Und genau das macht sie in den Augen rechter Parteien gefährlich. Denn je sichtbarer und lauter wir sind, je mehr wir für Themen sensibilisieren und Aufmerksamkeit schaffen, desto weniger Platz bleibt für autoritäre Erzählungen von „Ordnung“ und „Identität“.
Was wir jetzt brauchen: Mut, Bündnisse und Gegenrhetorik
Manchmal ist es frustrierend. Es gibt einige Organisationen, die aufhören, politisch Position zu beziehen – aus Angst, die Gemeinnützigkeit zu verlieren. Oder Fördermittel. Oder einfach Ruhe. Aber das ist der falsche Weg.
Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen. Wir brauchen mehr politische NGOs, nicht weniger. Mehr Stimme. Mehr Öffentlichkeit. Mehr Solidarität.
Was konkret hilft? Nunja, das sind zumindest meine Ideen:
- Verbünden statt vereinzeln. Einzeln sind wir angreifbar. In Netzwerken wie der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ oder regionalen Bündnissen sind wir stärker.
- Unsere Wirkung erzählen. Nicht nur in Projektanträgen, sondern laut, menschlich und öffentlich. Auf Social Media, in Pressearbeit, in der Schule nebenan. Sprache prägen!
- Politisch Druck machen. Für ein echtes Demokratiefördergesetz, das uns schützt – nicht reguliert.
- Grenzenlos solidarisch sein. Wenn in Ungarn NGOs kriminalisiert werden, betrifft uns das auch. Wenn Seenotrettung diskreditiert wird, geht das auch uns an. Was einem passiert, kann uns allen passieren.
Und Du?
Vielleicht arbeitest Du selbst in einer NGO. Vielleicht unterstützt Du regelmäßig welche. Vielleicht auch nicht. Aber vielleicht fragst Du dich gerade, ob das alles nicht ein bisschen übertrieben ist.
Ich wünsche mir, dass Du eines mitnimmst: Zivilgesellschaft ist keine nette Beigabe zur Demokratie. Sie ist ihr Motor. Ihr Gewissen. Ihre Stimme, wenn andere schweigen.
Und wenn jemand diese Stimme zum Schweigen bringen will – dann ist es an uns, lauter zu werden.