Megatrends: Das bedeuten sie für NPOs - Teil 2: Werteorientierte Zielgruppen
Megatrends sind global beobachtbare, gesellschaftliche Entwicklungen. Sie dauern mehrere Jahrzehnte an und haben großen Einfluss auf Werte, Weltsichten und Lebensentwürfe – somit natürlich auch auf Wirtschaft, Politik und den Non-Profit-Sektor. In diesem Artikel widmen wir uns der Frage, wie sich die Megatrends Gesundheit, Gender Shift, Neo-Ökologie, Silver Society und Sicherheit in Zukunft auf Zielgruppen von Non-Profits auswirken könnten.
Was sind Megatrends?
Megatrends sind keine Kurzzeit-Phänomene, die nach einem Hype wieder verschwinden. Vielmehr sind es komplexe Entwicklungen, die sich über lange Zeiträume und auf der ganzen Welt entwickeln und grundlegenden Wandel befeuern. Im ersten Artikel dieser Serie findest Du eine genaue Definition von Megatrends nach dem Zukunftsinstitut:
Megatrends: Das bedeuten sie für NPOs – Teil 1: Der 4. Sektor
Zielgruppen für das Fundraising neu bewerten
Wenn Non-Profits sich Gedanken über Zielgruppen für ihr Fundraising machen, spielen soziografische Werte wie Alter, Einkommen oder Wohnort meistens eine große Rolle. Das ist auch nicht ganz falsch, liefert für sich allein genommen aber kein vollständiges Bild der (potentiellen) Spender*innen. Werte, Einstellungen und Lebensentwürfe spielen für die Spendenmotivation eine weitaus größere Rolle – denn unsere Gesellschaften richten sich heute stärker danach aus als früher. Wesentliche Aspekte dabei sind das Aufbrechen von (Gender-)Normen und vorgegebenen Lebenswegen, aber auch ein gestiegenes Bewusstsein für Gesundheit und Ökologie.
Philanthropie erfährt in diesem Sinne einen Wandel: Es wird an jene Organisationen gegeben, die dem eigenen Werteset am nächsten sind und die sich für entsprechende Zwecke einsetzen. Wo (noch) zu wenig Geld für finanzielle Spenden vorhanden ist, wird nach anderen Möglichkeiten gesucht, sich zu engagieren. Das gilt vor allem für jüngere Generationen: Für viele von ihnen ist Engagement für gute Zwecke – vor allem in Gruppen – identitätsstiftend.
Im Folgenden erklären wir kurz die betrachteten Megatrends (dabei beziehen wir uns auf die Erläuterungen des Zukunftsinstitutes) und leiten mögliche Auswirkungen für Fundraising und Campaigning in Non-Profits ab.
Megatrend Gesundheit
Beim Wort “Gesundheit” denken wir heute wohl alle in erster Linie an Pandemien – doch der Megatrend hat schon vor Covid-19 seinen Lauf genommen. Gesundheit ist für viele Menschen ein zentraler Faktor für hohe Lebensqualität geworden. Das Thema wird zunehmend als komplexes, ganzheitliches Gefüge betrachtet, das nicht vollständig von Individuen beeinflusst werden kann. Vielmehr versteht man Gesundheit heute als Verbindung von individuellem Wohlbefinden und gesunder Umwelt. Somit wird es in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext gesehen und wirkt sich auf sämtliche Teilbereiche des Lebens aus:
- Ernährung
Wie man sich ernährt, ist nicht mehr bloß eine Frage in Bezug auf die individuelle Gesundheit, sondern auch eine des Umweltschutzes, der eigenen Werte und der eigenen Identität geworden.
- Selbstoptimierung
Sport wird als Mittel zur Steigerung der Gesundheit und der Leistungsfähigkeit verstanden und damit als wichtiger Teil eines gesunden Lebensstils. Sportliche Aktivität ist außerdem identitätsbildend und schafft Zugehörigkeitsgefühl. Hier spielt auch der (manchmal zu intensive) Drang, sich stetig zu verbessern, eine große Rolle.
- Digitale Gesundheit
Wirft man einen Blick auf die App-Stores, sieht man den Megatrend Gesundheit auch in der Technologie widergespiegelt. Apps zum gesundheitlichen Self-Tracking sind ein riesiger Markt geworden. Das zeigt, wie wichtig das Thema im Alltag der Menschen ist.
- Frauengesundheit
Medizinische Forschung, Diagnostik und Behandlung bezog Unterschiede zwischen den Geschlechtern früher kaum mit ein. Diese können aber schwerwiegende Folgen für Frauen haben (wie z. B. bei Schlaganfällen und Herzinfarkten) Hier bildet sich langsam mehr und mehr Bewusstsein und dieser Gender-Bias wird hinterfragt und aufgearbeitet.
- Psychische Gesundheit
Das Bewusstsein für psychische Gesundheit wird stärker, wodurch auch Vorurteile gegenüber Betroffenen abgeschwächt werden. Besonders jüngere Generationen sind sich ihrer Gefühle bewusster und sind eher bereit, sich therapieren zu lassen.
Auswirkungen
Non-Profits können dieses gestiegene Bewusstsein für Gesundheitsthemen auf verschiedene Arten nutzen. Zum einen ist es wahrscheinlich, dass es einfacher wird, Solidarität mit chronisch kranken Menschen oder solchen in Ländern mit schlechtem oder fehlendem Gesundheitssystem zu erzeugen. Zum anderen hilft die ganzheitliche Sicht auf das Thema, auch andere Bereiche wie Mobilität oder Umweltschutz damit zu verknüpfen. NPOs könnten ihren Mitgliedern und regelmäßigen Spender*innen zum Beispiel mit fundierten Ratgebern helfen, einen gesunden Lebensstil zu entwickeln und damit praktischen Mehrwert bieten. Auch zur gesundheitlichen Vorsorge können Non-Profits durch Aufklärung und Information beitragen.
Gesundheit ist also für Menschen in den unterschiedlichsten Lebensphasen wichtig, weshalb sich der Themenkomplex gut für das Fundraising eignet. Spenden- und Benefizaktionen mit diesem Fokus könnten zukünftig noch erfolgreicher sein.
Megatrend Gender Shift
Unter diesem Megatrend versteht man die Überwindung von binären Geschlechterrollen und die starke Polarisierung, die damit einhergeht. Traditionelle Rollenzuschreibungen weichen sich auf und das angeborene Geschlecht gibt nicht mehr zwingend den Lebensweg vor. Die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau wird weiter voranschreiten. Außerdem entwickelt sich vor allem bei jungen Menschen ein stärkeres Verständnis für die Abkoppelung der Genderidentität vom Geschlecht. Sie wird zunehmend als individuelles Empfinden verstanden. Trotzdem sind konservative Einstellungen zu diesem Thema weiterhin stark verbreitet und die Fronten sehr verhärtet.
Auswirkungen
Non-Profits, die sowohl progressive als auch konservative Zielgruppen ansprechen möchten, sollten in diesem polarisierenden Themenbereich sensibel vorgehen. Dennoch ist es wichtig, sich Gedanken zu machen und sich als Organisation auf die eine oder andere Art klar zu positionieren. Auch Diversität und Gleichberechtigung im eigenen Team sollten gegeben sein – einerseits um sich glaubwürdig zu positionieren, andererseits um selbst etwas zur gesellschaftlichen Veränderung beizutragen.
Das gestiegene Bewusstsein für Gender-Ungleichheiten und Diskriminierung gibt Programmen und Projekten für Frauen und LGBTQI-Personen Auftrieb – sie werden vor allem bei progressiven Zielgruppen mit entsprechendem Werteset auf Solidarität stoßen. Geschlechtsspezifisches Marketing und Fundraising kann hingegen vor diesem Hintergrund negativ aufgenommen werden, vor allem wenn in der Werbung Rollen-Stereotypen unkritisiert reproduziert werden.
Megatrend Sicherheit
Global und faktisch betrachtet leben wir so sicher wie nie zuvor. Trotzdem steigt die gefühlte Unsicherheit stark an. Das hat zu einem großen Teil mit der starken globalen Vernetzung und unserer Informationsgesellschaft zu tun. Negative Ereignisse werden über soziale Medien in Sekundenschnelle über die ganze Welt kommuniziert – wir wissen also einfach wesentlich mehr als früher. Auch klassische Medien tragen ihren Teil dazu bei: Gute Nachrichten finden verhältnismäßig selten den Weg in die Schlagzeilen.
Außerdem verändern sich die Risiken, denen die Welt gegenübersteht. Noch vor wenigen Jahren identifizierte das World Economic Forum ökonomische Gefahren als solche mit dem größten Impact und der höchsten Wahrscheinlichkeit. Heute sind es ausnahmslos Umweltrisiken (vgl. Global Risk Report 2022). Diese sind komplexer und schwerer zu erfassen und deren Auswirkungen schwieriger zu “reparieren”. Daher wirken sie sich stärker auf das empfundene Sicherheitsgefühl aus. Der Ukraine-Krieg, die damit einhergehende Teuerung und die Angst vor weiteren Pandemien sind ebenfalls Faktoren, die das Sicherheitsempfinden negativ beeinflussen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Menschen Sicherheit immer stärker als essentiellen Aspekt eines glücklichen Lebens bewerten.
Auswirkungen
Viele Non-Profits erfüllen mit ihrer Arbeit immer schon Sicherheitsbedürfnisse – entweder direkt z. B. mittels Sozialmärkten, Beratung, Direkthilfe etc. oder indirekt z. B. durch Gewaltprävention, Interessenvertretung und Stabilisierung in Konfliktgebieten.
Indem sie Menschen ermöglichen, die Opferrolle zu verlassen und selbst aktiv zu werden, können sie auch die Resilienz-Fähigkeit ihrer Begünstigten stärken. NPOs erfüllen wichtige Funktionen überall dort, wo der Staat versagt oder sich aktiv zurückzieht – und tragen so zur Stabilität und Sicherheit von Gesellschaften bei. Diese Zusammenhänge könnten in der Kommunikation von NPOs stärker herausgestellt werden, um die Bedeutung ihrer Arbeit für ein sicheres Leben zu verdeutlichen.
Auch auf das Fundraising wirkt sich das Thema Sicherheit aus: In Zeiten von Cyber-Kriminalität, Telefon-Betrug und Datenmissbrauch sind Menschen zurückhaltender und skeptischer geworden. Die Bereitschaft, z. B. über Telefon oder Face-to-Face-Werbung Kontodaten für eine Spende herauszugeben, könnte dadurch sinken. Wichtig ist also, dass Non-Profits verstärkt auf ein vertrauenswürdiges Image, Transparenz, Datensicherheit und Sensibilität hinsichtlich des Themas setzen. Zu bedenken sind außerdem aktuell finanzielle Unsicherheiten in Zusammenhang mit der Teuerung in Europa.
Ein weiterer Punkt ist jener der Informationssicherheit. Viele Menschen sind verunsichert, welchen Quellen sie glauben können und wie sie Fake-News von Fakten unterscheiden können. Non-Profits können hier aufgrund ihrer hohen Glaubwürdigkeit gut aufklären und informieren und sich somit als vertrauenswürdiger Partner erweisen.
Megatrend Neo-Ökologie
Ein weiterer Megatrend nennt sich Neo-Ökologie. Damit ist ein neues Nachhaltigkeitsdenken gemeint, das sich nicht mehr primär auf Verzicht, sondern auf Innovation bezieht. Menschen verstehen sich wieder stärker als Teil des Ökosystems und nicht als Außenstehende. Spätestens seit Fridays for Future hat das Thema Umwelt- und Klimaschutz eine neue Ernsthaftigkeit bekommen. Es hat sich vom Lifestyle und Konsumtrend zu einer weltweiten Bewegung entwickelt. Menschen agieren zunehmend wertorientiert. Sie hinterfragen Konsum kritisch und sehen ökologische Verantwortung sowohl im individuellen Handeln, als auch in Wirtschaft, Politik und Kultur. Dadurch entstehen innovative Entwicklungen wie z. B. “Green Festivals” und ein Trend hin zu einer Sinn-Ökonomie, die das Gemeinwohl stärker in den Fokus nimmt.
Auswirkungen
Ausgehend von jüngeren Generationen festigen sich Werte wie Umweltbewusstsein, Nachhaltigkeit und Gemeinwohlorientierung auch in anderen Teilen der Gesellschaft. Non-Profits können ihren Zielgruppen mit entsprechender Information ein nachhaltiges Leben vereinfachen – z. B. durch praktische Konsum-Ratgeber, Checklisten für nachhaltiges Reisen, Gütesiegel-Informationen etc.
Nur darüber zu reden kommt allerdings nicht mehr so gut an. NPOs sollten selbst Vorreiter sein und ressourcenschonend arbeiten. In der Projektarbeit können und sollten ökologische Aspekte immer mitbedacht werden, ebenso bei der Betreuung von Spendenden. Ein kreatives Beispiel dafür ist das Upcycling von Aktionsmaterialien – zum Beispiel Umhängetaschen als Incentive für Unterstützende, die aus alten Bannern und Plakaten genährt wurden. Nachhaltigkeit sollte in jedem Unternehmen und in jeder Organisation zum Werteset gehören.
Megatrend Silver Society
Menschen bleiben weltweit länger gesund und werden älter als früher. Das bedeutet, dass unsere Gesellschaften im Schnitt immer älter werden. Senioren bleiben länger aktiv, wodurch diese Gruppe einen wichtigen Stellenwert im gesellschaftlichen Gefüge einnimmt. Es passiert eine Umdeutung von Alter und eine Neubewertung des Beitrages, den ältere Menschen für die Gesellschaft leisten können. Man kann eine Abkehr vom Jugendwahn beobachten und ein Hinwenden zu einer “Pro-Aging”-Einstellung. Durch die enge Verknüpfung mit dem Megatrend Gesundheit werden Themen wie Achtsamkeit und Lebensqualität zukünftig noch wichtiger werden.
Auswirkungen
Für Non-Profits ist das eine tendenziell positive Entwicklung. Aktive ältere Menschen haben mehr Zeit für Ehrenämter und sind in der Regel auch finanziell besser situiert als sehr junge Erwachsene. Allerdings sollte man – wie eingangs beschrieben – nicht den Fehler begehen und Zielgruppen hauptsächlich nach dem Alter bestimmen: Die Senioren von morgen denken oft “jünger” als die Jungen und vertreten reflektierte, bewusste Werte, die sich auf ihre Erfahrung stützen.
Besonders in der Spender*innen-Kommunikation ist dieser Megatrend zu berücksichtigen: Im Vergleich zu jungen Menschen adaptieren ältere neue (Kommunikations-)Technologie nicht so schnell, bzw. oft auch gar nicht. Sie bleiben gerne bei gewohnten und vertrauten Mitteln. Es wird also weiterhin wichtig bleiben, über unterschiedliche Kanäle zu kommunizieren und diesbezüglich eine zielgruppenorientierte Strategie zu haben.
Es ist davon auszugehen, dass Projekte und Programme für ältere Menschen an Wichtigkeit zunehmen. Themen wie Altersarmut oder würdevolle Pflege könnten zukünftig mehr Solidarität erfahren und sich dadurch auch besser für das Fundraising eignen. Außerdem können NPOs auf diesen Megatrend reagieren, indem sie ihre Teams diverser aufstellen: Junge Talente können von der Erfahrung und dem Wissen älterer Mitarbeiter lernen und umgekehrt.
Potentiale & Zukunftsaussichten
Die hier vorgestellten Megatrends zeichnen zusammen das Bild eines grundlegenden Wertewandels, der in Zielgruppendefinitionen berücksichtigt werden sollte. Die Lebenswege der Menschen sind immer weniger durch äußere Faktoren vorgegeben, sondern spiegeln individuelle Einstellungen, Ziele und Werte wider. Daher spielen soziografische Faktoren nur noch eine Nebenrolle bei der Betrachtung von Zielgruppen. Es bilden sich Wertegemeinschaften in unseren Gesellschaften, die auf geteilten Einstellungen beruhen und sich für gemeinsame Ziele einsetzen. Sie sind auch bereit, dafür aktiv zu werden und sich für die Zwecke, die ihnen wichtig sind, zu engagieren (der “4. Sektor”).
Es macht also Sinn, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen und sie mit Selbstverständnis, Projekten und Fundraising-Strategie abzugleichen. Dadurch erhalten NPOs die Chancen, ihre Unterstützenden enger an sich zu binden, ein authentisches und glaubwürdiges Image aufzubauen und sich – unabhängig vom eigenen Thema – auch auf diesen Wegen für eine gerechtere, gesündere und mehr lebenswerte Welt einzusetzen.
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