Report: NGO-Perspektiven auf KI - Zwischen Euphorie und Skepsis
Der kürzlich erschienene Report “Grassroots and Non-Profit Perspectives on Generative AI” der Joseph Rowntree Foundation beschäftigt sich mit dem aktuellen Status des Einsatzes von generativer KI in Non-Profit-Organisationen. Er zeigt auf, dass die Technologie bereits großflächig Einzug in den gemeinnützigen Sektor gehalten hat, auch wenn noch Skepsis und Bedenken existieren. Jenseits von Chancen und Risiken offenbarte sich bei der Untersuchung auch eine tiefergehende Frage: Wem soll KI eigentlich dienen?
Effizienzsteigerung: Die große Chance für NGOs
Für viele Organisationen ist der Nutzen klar: Generative AI wird genutzt, um Content schneller zu erstellen, interne Prozesse zu automatisieren und die Kommunikation zu verbessern.
- 63 % der befragten Organisationen nutzen Generative AI bereits aktiv.
- 48 % gaben an, dass KI ihre Effizienz im Arbeitsalltag deutlich gesteigert hat.
Beispiele reichen von automatisierten Fundraising-Texten über schnelle Übersetzungen für mehrsprachige Kampagnen bis hin zu kreativen Social-Media-Posts mit KI-generierten Bildern. Gleichzeitig zeigt der Report: Die Mehrheit nutzt diese Tools ohne langfristige Strategie. Nur 27 % der Befragten haben überhaupt definierte Ziele für ihren KI-Einsatz.
Doch bei aller Begeisterung bleibt eine kritische Perspektive notwendig: Verbesserte Effizienz darf nicht zum Selbstzweck werden. Es geht darum, Raum für echte zwischenmenschliche Beziehungen zu schaffen, nicht diese durch KI zu ersetzen. In sensiblen Bereichen wie psychologischer Beratung oder Community-Organizing kann der unüberlegte KI-Einsatz fatale Auswirkungen auf das Vertrauen haben.
Unsichtbare Risiken: Nutzung ohne Governance
Bedenklich ist: 73 % der Non-Profits haben keine formalen Richtlinien für den KI-Einsatz. Dadurch entsteht eine Art „Shadow AI“, bei der Mitarbeitende Tools eigeninitiativ und ohne strategische Einbettung nutzen. Die Risiken — von Datenschutzverletzungen bis hin zu ungewollten Verzerrungen — bleiben oft unbemerkt.
Nur eine Minderheit der Organisationen (17 %) gibt an, sich intensiv mit der ethischen Dimension des KI-Einsatzes auseinanderzusetzen. Diese Zahlen verdeutlichen: Es fehlt an systematischen Strukturen, um KI verantwortungsvoll in die eigene Arbeit zu integrieren.
Barrieren: Digitale Ungleichheit wird verstärkt
Größere NGOs verfügen über Policies, Trainings und Technikbudgets. Kleinere Initiativen hingegen kämpfen mit fehlendem Zugang zu Wissen und Ressourcen:
- 70 % fehlt das notwendige Know-how für einen sicheren KI-Einsatz.
- 58 % nennen fehlende finanzielle Mittel als Hauptproblem.
Hier droht sich die digitale Kluft zu vergrößern — paradoxerweise ausgerechnet in einem Bereich, der eigentlich Demokratisierung verspricht. Ohne gezielte Unterstützung besteht die Gefahr, dass kleine Organisationen zunehmend den Anschluss verlieren und ihre Wirkungskraft einbüßen.
Risiken: Ethik, Verzerrung und Datenhoheit
Viele NGOs sehen erhebliche Gefahren im Einsatz von generativer KI:
- 57 % fürchten eine Verstärkung gesellschaftlicher Vorurteile durch Bias in den Trainingsdaten.
- 62 % haben Bedenken hinsichtlich Datenschutz und Datensicherheit.
Doch es geht um mehr als nur Technik: NGOs warnen vor einem kulturellen Wandel, in dem Effizienz wichtiger wird als Authentizität. Die entscheidende Frage lautet: Wie viel technologische Vermittlung verträgt echte Solidarität?
Ein weiteres ethisches Dilemma ist die fehlende Transparenz vieler KI-Systeme. Ohne nachvollziehbare Entscheidungsprozesse riskieren Non-Profits, versehentlich diskriminierende oder falsche Ergebnisse in ihre Arbeit zu übernehmen — ein Risiko, das besonders marginalisierte Communities trifft.
Hier hilft nur, die Ergebnisse generativer KI besonders kritisch zu hinterfragen und niemals ungeprüft zu übernehmen.
Grassroots-Perspektive: Demokratisierung statt Abhängigkeit
Vor allem kleinere Organisationen heben hervor, dass der Zugang zu Open-Source-KI-Technologien entscheidend ist. Hier bietet sich eine einzigartige Chance: Nicht nur Nutzer*in, sondern Mitgestalter*in von Technologie zu sein.
Grassroots-Organisationen fordern lautstark:
- Faire Zugänge zu KI-Tools.
- Beteiligung an der Entwicklung von KI-Standards.
- Stärkere Regulierung kommerzieller KI-Angebote.
Wer, wenn nicht NGOs, sollte dafür sorgen, dass KI-Systeme nicht bestehende Ungerechtigkeiten zementieren, sondern überwinden?
Mission vs. Technologie: Ein Zielkonflikt
Mehrere Organisationen berichten über einen wachsenden inneren Konflikt: Automatisierung spart Kosten, aber manchmal auf Kosten der eigenen Werte. Ist eine automatisierte Unterstützungsanfrage wirklich im Sinne der menschlichen Nähe, die viele NGOs verkörpern wollen?
Ein konkretes Beispiel: Eine NGO im Bereich Flüchtlingshilfe automatisierte große Teile ihrer Erstberatung — mit dem Ergebnis, dass viele Klient*innen das Gefühl der Entfremdung äußerten und das Vertrauen in die Organisation sank.
Strategische Empfehlungen für die Zukunft
Der Report fordert gezielt:
- Entwicklung von NGO-spezifischen KI-Schulungen.
- Ausbau von Open-Source-Lösungen.
- Community-basiertes Lernen, um kleinere Organisationen zu stärken.
- Etablierung ethischer Standards für den gemeinnützigen KI-Einsatz.
Ein zentraler Vorschlag: Non-Profits sollten eigene Ethik-Gremien bilden, die Guidelines für KI-Anwendungen innerhalb ihrer Organisationen entwickeln und kontinuierlich überwachen.
Auch sollte die Zusammenarbeit zwischen NGOs stärker praktiziert werden: Der Wissens- und Erfahrungsaustausch zwischen größeren und kleineren Organisationen kann für alle Vorteile bieten.
Non-Profits an der Schwelle zur digitalen Transformation
NGOs stehen an einer entscheidenden Schwelle: Wollen sie KI nur nutzen – oder sie aktiv so gestalten, dass sie echte gesellschaftliche Transformation ermöglicht?
Effizienz allein reicht nicht. Zukunftsfähige Organisationen werden diejenigen sein, die KI bewusst, werteorientiert und gemeinschaftlich einsetzen.
Die zentrale Aufgabe für die kommenden Jahre ist klar: Schulungen, Finanzierung und offene Technologien müssen zugänglicher werden, damit der gemeinnützige Sektor seine Rolle als kritische, kreative Kraft in einer von KI geprägten Welt behaupten kann — nicht als bloße Nutzende, sondern als aktiv Mitgestaltende.
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