Strategie in NGOs: Wie aus Vision Wirkung wird

Viele NGOs kämpfen damit, aus ihrer großen Vision eine handlungsleitende Strategie zu entwickeln. Es fehlt an Klarheit über Prioritäten, an Prozessen zur Einbindung relevanter Akteur*innen und an Wegen, strategische Maßnahmen im Alltag umzusetzen. Der folgende Artikel zeigt, wie sich diese Herausforderungen systematisch angehen lassen – inspiriert von dem Buch “The Nonprofit Dilemma” von DC Armijo.

 

Warum Strategie mehr ist als ein Dokument

In vielen Organisationen existiert „die Strategie“ nur in Form einer PowerPoint-Präsentation oder als PDF im Projektordner. Das Problem: Was nicht gelebt wird, wirkt nicht. Strategieentwicklung ist daher nicht nur eine analytische Übung, sondern ein sozialer Prozess. Sie muss Fragen beantworten wie:

  • Was wollen wir bewirken – und warum gerade jetzt?
  • Was unterscheidet uns von anderen?
  • Wie machen wir unsere Ressourcen wirksam? 

Diese Fragen betreffen nicht nur Führungskräfte. Strategie ist keine Elfenbeinturm-Disziplin. Sie entfaltet ihre Wirkung erst dann, wenn sie im Denken und Handeln vieler verankert ist. Eine klare, glaubwürdige Strategie gibt Orientierung, setzt Kräfte frei und ermöglicht Fokus.

 

„Man plant, und Gott lacht.“ – Dieses jiddische Sprichwort erinnert uns daran, dass Zukunft nie vollständig planbar ist. Und doch brauchen gerade gemeinnützige Organisationen einen Plan – nicht, um die Zukunft vorherzusagen, sondern um sie mitzugestalten.

 

Wie man gute strategische Ziele findet

Gute Ziele müssen das innere Funktionieren der Organisation, die äußeren Herausforderungen und die große Vision verbinden.

Interne Ziele richten den Blick nach innen: Wie effizient arbeiten wir? Sind unsere Prozesse sinnvoll? Entwickeln wir unsere Mitarbeitenden gezielt weiter? Hier lohnt sich ein Stärken- und Schwächenabgleich: Wo sind wir gut – und wie können wir diese Stärke ausbauen? Und umgekehrt: Wo drohen Engpässe oder Ineffizienz, die unsere Wirkung langfristig gefährden? 

Externe Ziele beziehen sich auf unsere Wirkung nach außen. Vielleicht braucht es eine bessere Positionierung in der Öffentlichkeit, eine neue Partnerschaft oder das Eingehen auf veränderte gesellschaftliche Bedürfnisse. Hier helfen Markt- und Umfeldanalysen, aber auch ein offenes Ohr für Zielgruppen, Fördernde und Mitarbeitende.

Hilfreich ist auch die Methode der SWOT-Analyse.

Entscheidend ist, diese Zielarten nicht gegeneinander auszuspielen. Die Kunst besteht darin, wenige, aber tragfähige strategische Ziele zu formulieren, die interne Weiterentwicklung und externe Wirkung zusammendenken. Ein überladenes Zielportfolio verwässert die Richtung – Strategie braucht Konzentration.

 

Was ist ein gutes strategisches Ziel?

Ein gutes strategisches Ziel für eine NGO ist eines, das konkret, wirkungsorientiert und erreichbar ist – und gleichzeitig einen klaren Beitrag zur Mission der Organisation leistet. Es sollte nicht zu allgemein formuliert sein („Wir wollen wachsen“) und auch nicht nur operativ („Wir posten häufiger auf Instagram“), sondern eine strategische Lücke schließen oder einen Hebel zur Veränderung darstellen.

 

Beispiel für ein gutes strategisches Ziel:

„Unsere Organisation wird innerhalb der nächsten zwei Jahre in fünf weiteren Bundesländern aktiv, um wohnungslosen Jugendlichen den Zugang zu psychosozialer Beratung zu ermöglichen.“

 

Warum ist das strategisch stark?

  1. Anknüpfung an die Mission:
    Es geht um die Ausweitung eines wirkungsbezogenen Angebots für eine klar definierte Zielgruppe. 
  2. Fokus und Klarheit:
    Es wird nicht nur „Expansion“ angestrebt, sondern ein genau benannter Bereich definiert (fünf Bundesländer, wohnungslose Jugendliche, psychosoziale Beratung). 
  3. Messbarkeit und Zeitrahmen:
    Der Zeithorizont (zwei Jahre) ist gesetzt, der Fortschritt lässt sich anhand der Anzahl neuer Standorte und erreichten Jugendlichen überprüfen. 
  4. Strategische Relevanz:
    Die Maßnahme adressiert ein Wachstumsziel mit Hebelwirkung – mehr Reichweite, mehr Wirkung, potenziell auch mehr Fördermittel. 

Machbarkeit:
Es ist ambitioniert, aber mit guter Planung realistisch. Die Organisation kann sich auf Partnerschaften, Fundraising, Personalgewinnung und Wirkungsmonitoring konzentrieren.

Im Buch „The Nonprofit Dilemma – Insights & Strategies for Purpose-Driven Leaders“ gibt DC Armijo zahlreiche Tipps für Führungskräfte in der Nonprofit Branche. Hier geht’s zu unserer Rezension:

Buchcover von

Strategie als Denkrahmen: Zwischen Planung und Agilität

Viele Nonprofits bewegen sich in einem Spannungsfeld: Einerseits brauchen sie eine klare Orientierung für ihr Handeln. Andererseits verändern sich gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen oft so schnell, dass Pläne rasch veralten. Die Lösung liegt in einem dualen Planungsverständnis.

NGOs in stabilen Märkten – etwa Fachverbände – können stärker auf klassische Planung setzen: Sie analysieren ihre Position, identifizieren Wachstumsfelder und arbeiten an Differenzierungsstrategien. Wer aber in hochdynamischen Bereichen wie Klimaschutz oder humanitärer Hilfe tätig ist, sollte Strategie als lernenden Prozess verstehen. Dort geht es weniger um detaillierte Roadmaps, sondern um Hypothesen, Experimente und Anpassungsfähigkeit.

Viele Organisationen sind eine Mischung aus beidem. Eine Gesundheits-NGO etwa kann im Bereich von Patient*innen-Versorgung eher langfristig planen, während sich politische Rahmenbedingungen oder Finanzierungsmodelle schneller ändern. Hier hilft es, die Strategie entlang verschiedener Zeithorizonte zu strukturieren: Was ist „jetzt“ zu tun? Was braucht es mittelfristig? Und worauf bereiten wir uns langfristig vor?

 

Vom Ziel zur Maßnahme: Das Driver Diagram

Zwischen dem „Was“ (Ziel) und dem „Wie“ (Maßnahme) liegt ein Denkprozess, der häufig unterschätzt wird. Ein nützliches Werkzeug, um diesen Zusammenhang sichtbar zu machen, ist das sogenannte Driver Diagram, auch „Wirklogik-Diagramm“ oder „Treiber-Diagramm“. Es ist ein strategisches Werkzeug, das dabei hilft, aus einem übergeordneten Ziel konkrete Einflussfaktoren (Treiber) und umsetzbare Maßnahmen abzuleiten. Es macht sichtbar, wie einzelne Veränderungen systematisch zur Zielerreichung beitragen.

 

Ein Driver Diagram stellt grafisch dar:

  1. Das Ziel („Aim“)

Zum Beispiel: Die jährlichen privaten Spendeneinnahmen sollen bis Ende nächsten Jahres um 20 % steigen.

  1. Die primären Treiber („Primary Drivers“)

= größere Wirkungsbereiche oder Voraussetzungen für das Ziel

Zum Beispiel: Erhöhung der Sichtbarkeit der Organisation, Stärkung der Spender*innen-Bindung, Verbesserung des Online-Spendenerlebnisses

 

  1. Die sekundären Treiber („Secondary Drivers“)

= spezifischere Einflussfaktoren oder Ursachen unterhalb der Primärtreiber

Zum Beispiel:

  • zu Sichtbarkeit erhöhen: Mehr Medienpräsenz, Reichweitensteigerung auf Social Media, lokale Veranstaltungen durchführen 
  • Zu Spender*innenbindung: Verbesserung der Dankkommunikation, Spender*innen regelmäßig über Wirkung informieren, wiederkehrende Spenden attraktiver machen 
  • Zu Online-Spendenprozess: Optimierung der Spendenformulare, Einführung von Mobile Payment, Reduktion technischer Hürden (z. B. Ladezeiten)
     
  1. Konkrete Maßnahmen oder „Change Ideas“

= Aktivitäten, mit denen die sekundären Treiber beeinflusst werden

Zum Beispiel: Pressemitteilung über aktuelle Projekte verfassen und an lokale Medien senden, Einführung eines quartalsweisen Impact-Newsletters für alle Spendenden, A/B-Testing von Landingpages zur Conversion-Optimierung, Implementierung von Apple Pay / Google Pay im Spendenformular, Einrichtung eines Testimonial-Bereichs mit persönlichen Geschichten auf der Website

Die Struktur ist dabei von links (Ziel) nach rechts (Maßnahmen) aufgebaut.

So kann ein Driver Diagram aussehen. Quelle: https://www.researchgate.net/figure/Driver-diagram-This-diagram-captures-the-interventions-primary-and-secondar-drivers_fig2_356637986

Warum ist das hilfreich?

  • Es zwingt zu klarer Logik: Wie hängt das große Ziel mit dem operativen Alltag zusammen?
  • Es verhindert Aktionismus, indem Ursachen analysiert und priorisiert werden.
  • Es fördert Teamkommunikation, weil unterschiedliche Perspektiven eingebunden und strukturiert werden können.
  • Es hilft bei der Wirkungsorientierung, weil es zeigt, welche Annahmen dem Handeln zugrunde liegen. 

Unterschiedliche Strategieebenen

Manchmal ist es schwierig, die übergeordnete Leitstrategie in kleinere Bereiche herunterzubrechen. Dann kann es – je nach Organisationsgröße – sinnvoll sein, die große Strategie in Abteilungs- oder Bereichsstrategien zu übersetzen.

 

Zentrale Leitstrategie als Orientierungsrahmen

Diese zentrale Strategie ist das gemeinsame Dach, unter dem alles andere stattfindet. Sie beantwortet grundlegende Fragen:

  • Warum gibt es uns? (Mission)
  • Was wollen wir bewirken? (Wirkungsziele)
  • Welche Hebel setzen wir ein? (Strategische Stoßrichtungen)
  • Wie messen wir Fortschritt? (Kernindikatoren) 

Diese Gesamtstrategie sollte maximal drei bis fünf strategische Ziele formulieren, die sowohl Wirkung als auch organisationale Tragfähigkeit (Finanzen, Kultur, Partnerschaften etc.) betreffen. Sie wirkt richtungsgebend – wie ein Kompass.

Sie sollte nicht operativ werden, sondern bewusst auf der „Strategie-Ebene“ bleiben: Wohin wollen wir – nicht: wie genau kommen wir dahin?

 

Ableitung von Bereichsstrategien

Aus der Leitstrategie können Abteilungs- oder Bereichsstrategien entwickelt werden – aber nur dann, wenn die Organisation eine gewisse Größe und funktionale Differenzierung aufweist. Diese Teilstrategien sorgen für Übersetzung und Verbindlichkeit in den jeweiligen Domänen.

Beispiel:

  • Die Kommunikationsabteilung entwickelt auf Basis des übergeordneten Ziels „Markenbekanntheit steigern“ eine Strategie mit Kanalfokus, Zielgruppen und Inhalten. 
  • Die Fundraisingabteilung leitet daraus ein Ziel zur Spender*innen-Bindung ab und formuliert Maßnahmen wie Impact-Storytelling oder automatisierte Dankprozesse. 
  • Die IT könnte mit dem Ziel verbinden, nutzerfreundliche Spendenformulare und eine leistungsfähige Datenstruktur zu entwickeln. 

Diese Bereichsstrategien sind nicht optional – aber sie sollten nicht zu starr werden. Ziel ist Übersetzung, nicht Bürokratie.

 

Strategien auf Sub-Bereichs-Ebene

Strategien auf noch tieferer Ebene – etwa für einzelne Projekte, Kampagnen oder sogar Teams – können sinnvoll sein, wenn sie konkrete Transformationsziele verfolgen. Aber: Nicht jede Aufgabe braucht eine „eigene Strategie“. Sonst droht strategische Zersplitterung oder Pseudostrategie („Wir posten dreimal pro Woche“ ist kein strategisches Ziel).

Woran Du erkennst, dass sich eine Substrategie lohnt:

  • Es geht um Innovation oder Veränderung, nicht nur um Aufgabenerfüllung.
  • Die Maßnahme hat Auswirkungen über das eigene Team hinaus.
  • Sie erfordert prioritäre Ressourcen- oder Aufmerksamkeit. 

Zum Beispiel:

  • Eine Strategie für die Einführung eines Self-Service-Portals
  • Eine Strategie zur Positionierung der NGO in einem neuen gesellschaftspolitischen Diskurs
  • Eine Strategie zur Diversifizierung von Finanzierungsquellen 

Wenn keines dieser Kriterien zutrifft, reicht ein Handlungsplan oder operatives Ziel.

 

Maßnahmen realistisch planen – mit Weitblick

Nicht jede Maßnahme passt in jedes Zeitfenster – und nicht jede Idee ist kurzfristig umsetzbar. Um Investitionen und Veränderungen vernünftig zu strukturieren, kann das Now-Near-Far-Framework hilfreich sein. Es teilt Maßnahmen in drei Zeithorizonte:

  • Now: Sofortige Schritte, die schnell Wirkung zeigen oder dringende Probleme lösen.
  • Near: Maßnahmen, die mittelfristig vorbereitet werden müssen, weil sie Ressourcen, Abstimmungen oder neue Kompetenzen erfordern.
  • Far: Langfristige Entwicklungen, für die heute Grundlagen gelegt werden (z. B. durch Partnerschaften oder Pilotprojekte). 

Gerade bei größeren Transformationen – etwa der Ausweitung auf neue Zielgruppen oder digitale Angebote – hilft diese Logik, Überforderung zu vermeiden und Handlungsfähigkeit zu bewahren.

 

Strategie braucht Investitionsmut – aber auch Realismus

Strategische Maßnahmen kosten – Zeit, Geld, Energie. Darum braucht jede Strategie einen „Investment Case“: Warum lohnen sich diese Maßnahmen? Welchen Nutzen erwarten wir – und wann? Und wie sicher sind unsere Annahmen?

Es ist klug, zunächst groß zu denken und erst danach die Frage nach der Finanzierbarkeit zu stellen. Wer zu früh in Machbarkeit denkt, verpasst oft bessere Ideen. Zugleich gilt: Unrealistische Vorstellungen führen zu Enttäuschung. Deshalb lohnt es sich, Alternativen wie eine schrittweise Umsetzung, gezielte Fundraising-Kampagnen oder Kooperationen mit anderen Organisationen mitzudenken.

Gute Strategie schafft Klarheit. Sie verbindet Mission mit Handlungsfähigkeit, langfristige Vision mit konkreten Schritten. Sie entsteht im Dialog, nicht im stillen Kämmerlein – und sie braucht Menschen, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.

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